Nach meinen kurzen Ausführungen zur Thematik der Scheckfarbe im Rahmen der Stammbuchschua 2009 möchte ich dem Wunsch nachkommen und diese Ausführungen für den Gänsekiel aufbereiten. Bei den Recherchen zu diesem Thema gab der ehemalige Gänsezüchter Stefan Kikilus aus Hameln wertvolle Anregungen und Ergänzungen gerade auch zu den praktischen Beispielen. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken. Ich möchte erwähnen, dass es bislang keine Ausführungen in der Literatur in dieser Form zur Scheckfarbe bei Gänsen und zu ihrer Vererbung gegeben hat. Von daher handelt es sich um eine Erstveröffentlichung und eine Premiere für den Gänsekiel. Bevor ich zu den Erläuterungen zur Farbvererbung komme, muss noch herausgestellt werden. dass die Besonderheit der Geschlechtschromosomen beim Geflügel im Gegensatz zum Säuger erwähnt werden muss, da damit die geschlechtsgebundene Vererbung bestimmter Farbmuster verständlicher wird. Beim Vogel sind beim männlichen Tier die Geschlechtschromosomen xx und beim weiblichen Tier xy. Beim Säugetier ist hier die Verteilung genau umgekehrt. Zu Beginn sollen die verschiedenen Farbausprägungen der Gänse erläutert werden. Am bekanntesten sind die "rein-weißen" Gänse, die sich bei vielen Rassen finden lassen. Dabei ist gleich die Einschränkung zu machen, das es keine rein wißen Gänse gibt. Auch wenn diese Vertreter optisch rein weiß erscheinen, so sind sie alle - unabhängig von der jeweiligen Rasse - als reinerbig-rezessive Schecken zu betrachten, d.h. das Scheckanteile im Gefieder nicht sichtbar werden.

Ebenfalls sehr häufig fnden sich wildfarbene Gänse, wie z.B. bei den Rassen der Elsässer, der Touluser und der grauen (=wildbraunen) Variante der Pommerngänse. Die Stammform unserer Hausgänse, die Graugans (Anser anser) zeigt diese Färbung beispielgebend. Auch diese Färbung kann bei Schautieren fehlerhaft mit einem anderem Scheckungsfaktor auftreten, nämlich dem der "Brustscheckung". Dieser Faktor führt dazu, dass im Brust-Bauchbereich kleinste bis größere weiße Flecken auftreten, in der Regel gekoppelt mit ein paar weißen Handschwingen und evtl. mit einem weißen Ring um den Schnabel.

Eine weitere Farbe die wir bei Gänsen finden ist die Herzscheckung. Ich möchte sie mal zum besseren Verständnis als "Echte Scheckung" bezeichnen. In der Farbausprägung zeigt sich eine Farbgebung - meist in grau bw. wildbraun - an Kopf und Hals, auf dem Rücken bis gelegentlich in die Armschwingen sowie im hinteren Flankengefieder den sogen. Schenkelbinden. Das klassische Beispiel für diese Färbung verdeutlicht die gescheckte Pommerngans. Dieses Scheckungsmuster prägt sich bei Vorhandensein von Brustscheckungsfaktor und Schimmelfaktor aus. Diese "Echte Scheckung" fällt in der Regel mit einer relativ hohen Streuungsbreite in den Feinheiten aus, da hier zusätzlich summierende, ausprägungsrelevante Faktoren neben dem eigentlichen Herzscheckungsfaktor wirksam werden. Der Farbschlag der Herzscheckung ist daher nur mit sehr viel Aufwand und rel. enger Inzucht zu erzüchten. Um dem Standard gerechte Tiere auf Ausstellungen zu zigen, die definiert ausgeprägte Farbfelder im Gefieder aufweisen, müssen sehr viele Tiere nachgezogen werden und folglich sehr viel Nachzucht selektiert werden. Die meisten Tiere mit einer guten Herzscheckung weisen in ihrer Genetik zusätzlich den Brustscheckungsfaktor auf. Dieser wirkt sich im Zusammenspiel vorteilhaft gegen eine starke Überzeichnung aus.

Der hier angesprochene, geschlechtsgebundene Schimmelfaktor zeigt sich durch die Ausprägung der sogen. Schimmelung. Dabei sind farbige Federn mehr oder weniger gleichmäßig im Gefieder verteilt. Diese Federn sind häufig nicht in der grauen bzw. wildbraunen Farbe gefärbt sondern deutlich „geschimmelt“ (aufgehellt). Nicht selten zeigt sich der Schimmelfaktor auch nur im Vorhandensein der sogen. hellen Schenkelbinden im Flankengefieder, die dann auch nicht so intensiv durchgefärbt sind wie bei der Herzscheckung, und ebenfalls eher hell bis blassgrau erscheinen. Tiere mit Schimmelfaktor, die nur diese Schenkelbinden zeigen, sonst ohne oder nur mit kaum farbigen Federn im übrigen Gefieder und meist durch leicht silbrigen Unterrücken gekennzeichnet sind, sind in jedem Fall Ganter!
Nun liest und schreibt sich das einfacher als es in Wirklichkeit ist. Es gibt einige Zwischenvarianten zwischen dem Wirken der verschiedenen Scheck bzw. Schimmelfaktoren. Dabei verhält sich die Ausprägung der Farbfelder in der Praxis nicht immer den theoretischen Grundlagen folgend. Gerade beim Vorhandensein von Schimmel- und Scheckfaktor können sich verschiedene Zwischenstufen der Gefiederfärbung zeigen. Wenig kalkulierbar wird dann auch das farbliche Erscheinungsbild der Nachzucht, wenn die Elterntiere nicht einer eindeutigen Gefiederfärbung zugeordnet werden konnten oder wenn über die Farbausprägung der Eltemtiere bzw. weiterer Vorfahren keine Informationen vorliegen. Zur Vollständigkeit sein noch kurz darauf verwiesen, dass auch die Gefiederfarben gelb (geschlechtsgebundenes ledergelb bei der Rasse der Celler Gänse), das nicht standardisierte spalterbige dunkelblau, das reinerbige (hell)blau (bei Fränkischer Landgans und Steinbacher Kampfgans) und auch das nicht standardisierte, rezessivautosomal vererbende dunkelbraun bei verschiedenen Gänseschlägen zu finden sind. Alle diese Farben entstehen durch diverse „Verdünnungsfaktoren“ der Wildfarbe, deren Erläuterungen hier aber zu weit fähren würden, da diese Farben bei der Lippegans nicht relevant sind.
Bei genauer Kenntnis der Farbgebung der Eherntiere auf den Schimmelfaktor lassen sich an Hand der Farbgebung der Nachzuchttiere deren Geschlechter bestimmen. So ergeben sich aus den oben erwähnten Gantem mit Schenkelbinden in Anpaarung an reinweiße Gänse zu 1/4 immer weibliche Tiere mit Herzscheckung. Ein weiteres ‘/4 sind weiße Gänse, ¼ weiße Ganter und ¼ fast weiße Ganter, die wieder Schenkelbinden tragen.
Ist die Gans zu dem „Schenkelbindenganter“ hingegen weiß mit unsauberem Unterrücken, so fallen die Söhne von reinweiß über schimmelweiß mit leicht grauen Schwingen bis typisch schimmelfarbig und die Töchter von reinweiß über weiß mit unsauberem Unterrücken, herzgescheckt und grau (wildfarben). Auch hier sind die anfallenden Herzschecken immer weiblich.
Schenkelbindenganter mit herzgescheckter Gans gepaart ergibt bei der männlichen Nachzucht   Schenkelbindenganter und Herzscheckenganter sowie bei der weiblichen Nachzucht weiße und herzgescheckte Gänse.
Paart man einen typischen Herzscheckganter (aus Reinzucht) an eine weiße Gans (Reinzucht), so erhält man in der Regel alle Söhne in weiß, oft mit Schenkelbinden und die Töchter fallen alle herzgescheckt. Im umgekehrten Fall eines reinweißen Ganters (Reinzucht) und einer Herzscheckgans erhält man weiße Söhne, die auch Schenkelbinden tragen können und weiße, meist reinweiße Töchter. Aus der Verpaarung eines „typischen Schimrnelganters“ (s. o.) mit einer Herzscheckgans fallen die männlichen Nachkommen von grau über alle Töne von schimmelfarbig, herzgescheckt, weiß mit Schenkelbinden bis hin zu reinweiß. Die Töchter fallen herzgescheckt und in allen „WeißStufen“ ohne Schenkelbinden!
Gelegentlich sieht man bei Mastlinien oder auch bei anderen Landgänsen weibliche Tiere, die dem „typisch gefärbten Schimmelganter“ ähnlich sehen. Es handelt sich um Gänse, die keinen Herzscheckungsfaktor haben, also eigentlich nur graue Gänse, die auf ihrem Geschlechtschromosom einen Schimmelfaktor tragen. Sie sind aber zu Körpermitte und Körperende hin meist deutlich dunkler im Erscheinungsbild als die Schimmelganter. Ein weißes Vordergesicht (vor den Augen) haben sie aber immer!
Die sauberste und reinste Ausprägung dieser Art findet man in Reinzucht ohne den Brustscheckungsfaktor bei den kennfarbigen Pilgrimgänsen, bei der die Gans eine etwas aufgehellte Wildfarbe mit weißem Gesicht trägt. Die Weißzeichnung dehnt sich mit dem Alter aus. Genetisch betrachtet liegt hier 1x Schimmelfaktor auf dem Geschlechtschromosom und sonst rein wildfarbig vor. Die in Reinzucht dazugehörigen Ganter der Pilgrimgänse sind weiß mit leicht grauen Schenkelbinden, silbrigem Unterrücken und meist farbig auslaufenden Schwingen- und Schwanzfedern. Genetisch betrachtet liegt hier 2x Schimmelfaktor auf dem Geschlechtschromosom und sonst rein wildfarbig. Die Gössel der Pilgrimgänse schlüpfen 100%ig kennfarbig, d. h. die Ganter silbrig-gelb und die Gänse blasswildfarbig.
Alle Tiere mit einer mehr oder weniger typischen Schimmelfärbung oder auch Kennfarbigkeit (Pilgrim) werden durch das Vorhandensein vom Brustscheckungsfaktor stark aufgehellt in der Zeichnung. Alle Tiere mit einer mehr oder weniger typischen Schimmelfärbung oder auch Kennfarbigkeit (Pilgrim) werden im Alter deutlich heller; der Weißanteil nimmt zu.
Kommen wir nun speziell zu den Lippegänsen. Wir kennen bei dieser Rasse die weiße und die gescheckte Gefiederfärbung. Seltener tritt die Schimmelung auf. Die anderen oben erwähnten Farben gelb und blau hatten bislang keine Relevanz für die Zucht der Lippegans. Alle optisch weißen Lippegänse sind reinerbigrezessive Schecken. Sie tragen also Scheckungsfaktoren auf den Erbanlagen, ohne dass diese zur Ausprägung kommen. Diese Tatsache lässt sich gut in der Entwicklung der Zucht der Lippegänse innerhalb der letzten Jahren verdeutlichen. Seit 1999 werden die Lippegänse im Stammbuch Lippegans als geschlossene Population geführt. D. h. es sind keine Tiere unbekannter Herkunft in die Population aufgenommen worden. Aus älteren Unterlagen über die Lippegänse sind farbige Gänse bekannt, die eindeutig als Herzschecken anzusprechen sind. Auch von unserem Urhof der Lippegänse, dem Betrieb Schumacher-Rinsche in Wiggeringhausen, sind uns Fotos der     Stammgänse Emma und Adele überliefert, wo der Schimmelfaktor dieser zwei Tiere eindeutig zu erkennen ist. Bei Beginn der Erfassung der Stammtiere für die Population der Lippegans fanden sich nur bei wenigen Tieren einzelne farbige Federn. Diese Federn waren am Hals, auf dem Rücken und selten in den Schwingen zu finden. Die Gans „Blacky“ im Bestand Schumacher-Rinsche hatte z. B. eine(!) rein schwarze Feder in der rechten     Armschwinge. Seit dem Jahr 2004 sind deutlich mehr Tiere in der Population vorhanden, die als Schecken oder Schimmel anzusprechen sind. Das ist beim praktizierten Zuchtmanagement einer geschlossenen Population nicht ungewöhnlich, da in einer geschlossenen Population rezessive Erbanlagen nicht durch Einkreuzungen von Tieren unbekannter Herkunft bzw. fremder Rassen unterdrückt oder verdrängt werden können. Mit Wiederanerkennung der Lippegans als ausstellungsfahige Rasse im Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter im Jahr    1989 wurde ausschließlich der weiße Farbschiag anerkannt. Nach den Kenntnissen der Farbgenetik bei den Gänsen ist nachvollziehbar, dass die ausstellungsorientierten Züchter nur kurzfristig optisch rein weiße Gänse innerhalb der Rasse züchten konnten. Innerhalb weniger Gänsegenerationen — das Generationsintervall ist in der ausstellungsorientierten Zucht eher kurz -  kamen auch hier vermehrt farbige Federn zum Vorschein. Diesem in der Ausstellungszucht als „groben Fehler“ bezeichnetem Merkmal wurde mangels Kenntnissen durch Einkreuzung weißer Gänse unterschiedlicher Rassen begegnet. Dies führte zur Unterdrückung der farbigen Federn aber natürlich auch zur Beeinflussung anderer Merkmale der Lippegänse. Bei einigen Zuchtlinien der Lippegans finden sich diese fremdrassigen Merkmale auch heute noch. Wir werden innerhalb des Stammbuch Lippegans immer wieder daran erinnert werden, können aber zur Erhaltung einer ausreichenden genetischen Breite innerhalb der Population nicht auf die Negativselektion dieser Linien verzichten.


    Autor:    Dipl.lng.agr. Mathias Vogt
    Hersg.: Herdbuch Leinegans e.V. 2010